Gibt es 2020 keinen Meister? Der HSV hat es schon mal erlebt!
Foto: Imago/Zink
Gibt es 2020 gar keinen Deutschen Meister? Ein Szenario, das in Zeiten der Corona-Krise trotz aller Bemühungen der DFL derzeit keiner mit Sicherheit ausschließen kann. Historisch wäre es das zweite Mal: Schon 1922 hatte es aus kuriosen und heutzutage unvorstellbaren Umständen im deutschen Fußball keinen Titelträger gegeben.
Auf die Meisterschale sind heute deshalb die beiden damaligen Endspiel-Teilnehmer graviert: der 1. FC Nürnberg und der HSV!
Am 18. Juni 1922 stehen sich im „Deutschen Stadion“ in Berlin der Club und der HSV im Finale gegenüber. Nach 90 Minuten steht es 2:2. Ein Elfmeterschießen ist damals noch nicht vorgesehen - also soll bis zur Entscheidung weitergespielt werden.
Doch nach drei Stunden und neun Minuten (!) muss Schiedsrichter Peco Bauwens eine überhart geführte Partie wegen einbrechender Dunkelheit beenden. Ein Flutlicht gibt es nicht. Bis zum Abbruch werden die völlig erschöpften und angeschlagenen Spieler (Auswechslungen sind nicht erlaubt) 19-mal von Sanitätern behandelt, Bauwens selbst bricht nach 165 Minuten von Wadenkrämpfen geplagt zusammen.
Auch beim Wiederholungsspiel am 6. August in Leipzig überschlagen sich die Ereignisse auf dramatische Weise. Nach 18 Minuten fliegt der Nürnberger Mittelstürmer Willy Böß vom Platz. „Obgleich der Ball weg war, erhob er sein Bein gegen einen am Boden liegenden Hamburger“, hält Bauwens, der die Partie erneut leitet, in seinem Spielbericht fest. Der Club geht dennoch durch Heinrich Träg (48.) in Führung, Karl Schneider gleicht für den HSV aus (69.). Vier Minuten später verletzt sich der Nürnberger Anton Kugler, die Franken retten sich mit acht Feldspielern in eine erneute Verlängerung.
Dort fliegt zunächst Torschütze Träg wegen einer Tätlichkeit vom Platz. „Die Handlung war derart gemein“, schreibt Bauwens, „dass ich nahe dran war, das ganze Spiel jetzt schon abzubrechen.“ Es geht aber weiter - bis der Clubberer Luitpold Popp nach Ende der ersten Verlängerung entkräftet zusammenbricht. Bauwens bricht den Statuten gemäß ab.
Der DFB erklärt den HSV zum Meister, weil der Club „durch das unsportliche Verhalten zweier seiner Mitglieder, das dann deren Ausschließung zur Folge hatte, den Abbruch selbst verschuldete“. Nürnberg erhebt erfolgreich Einspruch, beim folgenden DFB-Bundestag wird mit 53:35-Stimmen erneut für den HSV entschieden.
Doch die Hamburger verzichten letztendlich auf die damalige Viktoria-Trophäe, angeblich auf Druck des DFB. Es gab also 1922 keinen Deutschen Meister. 1923 holte sich der HSV dann den Titel. Und wie geht es 2020 aus?